24. September 2013

Das Private ist politisch, nicht umgekehrt
 
Vorgestern habe ich, wie immer in den letzten Jahren, als Wahlhelfer gewirkt. Bei uns gibt es dafür 26 Euro, von denen ich nicht weiß, ob ich sie angeben muss. Steuerrechtlich handelt es sich um eine Aufwandsentschädigung, also nicht um Einkommen. Sozialrechtlich, und das ist für mich relevant, könnte es sich anders verhalten. Wir müssen uns melden, wenn sich unsere "wirtschaftlichen Verhältnisse" ändern. Ob 26 Euro das bewirken können, ist ja Interpretationssache, Ich finde, damit kann man schon einiges anstellen, höre aber oft Widerspruch. Irgendwo habe ich gelesen, dass wir alle Einkünfte angeben müssen, und es könnte sein, dass eine Aufwandsentschädigung zwar kein Einkommen, aber eine Einkunft sind, auch wenn eine Einkunft nur etwas sein kann, das einkommt. Tja, da lasse ich die Hunde wohl lieber schlafen.

Aber ich will gar nicht über Geld reden. Das haben andere den ganzen sogenannten Wahlkampf über gemacht, und jetzt soll davon geschwiegen werden, jedenfalls hier. Da ich vom Blutspenden ausgeschlossen bin, ist die Tätigkeit als Wahlhelfer, wie schon früher gesagt, mein kleiner Beitrag zum Ganzen. Und der war diesmal etwas größer als sonst. Nicht nur war die Wahlbeteiligung höher, als ich sie je zuvor in dieser Funktion erlebt hatte, sondern die WählerInnen waren auch besonders renitent.

Demokratische Wahlen sind in Deutschland frei, allgemein, gleich, geheim und direkt. Von diesem Pentalog hat "geheim" es im Wahllokal regelmäßig am schwersten. Immer wieder versuchen Familien, gemeinsam in die Kabine zu gehen, oft Eltern mit Kindern, die bereits lesen können, manchmal auch Mann und Frau. Mein Wahlvorstand, also der Leiter des Wahllokals, war der Ansicht, es sei eben Sache der jeweiligen Familie, wie sie mit ihrem Recht auf Geheimhaltung umgehe. Ich meine aber, dies ist ein Recht, auf das man nicht verzichten darf.

Wenn ich sehe, dass ein Mann und eine Frau zusammen eine Wahlkabine betreten, muss ich vermuten, dass es nicht um die große Liebe und das große Vertrauen geht, sondern umgekehrt um Kontrolle. Wahrscheinlich will der Mann sicher stellen, dass die Frau auch wirklich das Gleiche wählt wie er. Die Frau sagt natürlich, dass sie den Mann dabei haben wolle, so wie sie, wenn er sie geschlagen hat, behauptet, sie sei die Treppe runtergefallen. So erschreckend ich Letzteres finde, so wenig kann ich Ersteres zulassen.

Entsprechendes gilt für die Mitnahme von Kindern. Eine Mutter rief mir zu: „Ihr seid doch nicht bei Trost!" Ich aber hörte schon den Vater: "Wo hat denn die Mama ihr Kreuz gemacht?" - "Ja, braves Kind."

Deshalb ist es wichtig, dass alle ihr Recht auf Geheimhaltung wahrnehmen. Die Wahl soll unbeeinflusst von jeder noch so subtilen Kontrolle stattfinden. Was jemand wählt, ist zwar eine persönliche Entscheidung, aber keine private oder familiäre. Eine Bundestagswahl hat überhaupt keinen privaten Aspekt.

 

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