17. September 2007

Laufbilder im Kunstkontext
 
"Der Ort des Films auf der documenta 12 ist das Kino", heißt es auf der Website der Veranstaltung, so seien "Laufbilder im Kunstkontext wohl am besten darstellbar." Trotzdem werden in den Ausstellungsräumen jede Menge "Videoinstallationen" gezeigt. Was soll das?

Man kommt vor ein laufendes Video, findet es interessant und kriegt bald raus, dass es eine zeitliche Struktur hat, also Anfang, Mitte und Ende. Nun möchte man das Video natürlich genau in der Reihenfolge sehen: von Anfang bis Ende. Bis das Video von vorn startet, könnte man sich einem anderen Kunstwerk widmen, aber man weiß ja nicht, an welcher Stelle des Films man ist, wann er von neuem beginnt und wieviel Zeit man also hat. Um den Anfang nicht zu verpassen, wartet man also unruhig bis zum Ende, um dann mit dem Kunstgenuss zu beginnen. Das kann dauern, denn diese Videos sind zwanzig Minuten oder auch vier Stunden lang. da fängt man schon an zu kalkulieren, denn man ist zwar ausschließlich wegen der documenta nach Kassel gekommen, hat aber dennoch nur einen Tag. Den will man möglichst mit Kunst füllen, vielleicht mal ausruhen, etwas essen, aber dann wieder Kunst. Was man nicht will, ist warten. Na ja, einmal geht ja, aber bei der zweiten Videoinstallation wird das schon sehr lästig, und ab der dritten ist es nur eine Prüfung auf dem steinigen Weg zu einer Läuterung, deren Sinn allein der Kuratorgott begreift.

Doch das ist noch nicht alles. Auch nach dem Warten ist der Kunstgenuss kein ungetrübter. Denn man selbst ist ja nicht der einzige, der mitten im Film vor das Video kommt, das oft in einem eigenen Raum läuft. Manche gucken nur kurz zum Eingang herein und beschließen, nicht zu warten, oder erkennen, dass ihnen das Video nicht zusagt. Andere bleiben bis genau zu der Stelle, an der sie gekommen sind. Es ist ein Rein und Raus wie früher – ältere Herren werden sich heimlich erinnern – im Pornokino. Auch dort blieben die meisten bis zu der Stelle, an der sie kamen.

Wenn das alles nicht richtig funktioniert, warum laufen diese Filme dann nicht wirklich im Kino, sondern zwischen Gemälden, Skulpturen und dergleichen? Es muss die Tradition sein, denn es gibt neben dem Kino offenbar eine zweite Entwicklungslinie des bewegten Bildes. (Das Fernsehen stammt vom Kino ab und zählt deshalb nicht.) Erstaunlich aber ist, dass die Vertreter dieser Linie nie im Kino gewesen zu sein scheinen. Oder aber sie halten das Kino für eine niedere Ausdrucksform.

Vielleicht ist das auch der Grund dafür, dass man Filme von Hitchcock, Fassbinder oder Cronenberg in jedem Städtchen auf DVD kaufen kann, Videos von Paik, Nauman oder Fischli und Weiss jedoch nirgendwo. Das Kunstwerk muss ja schließlich durch Einzigartigkeit seine Aura bewahren, während ein Hitchcock völlig ohne Aura beeindruckt. Oder das Kunstwerk muss seinen Preis auf dem Kunstmarkt bewahren.

Was für Filme werden auf der documenta 12 dann aber im Kino gezeigt? Einige ältere Kunstvideos und außerdem Hitchcock, Fassbinder, Cronenberg …

 

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